Skalierungsprobleme

Skalierungsprobleme im Elektronikbereich zeigen sich als Auswirkungen der immer komplexer werdenden Schaltungen. Welche Lösungen sind möglich? Der Autor Jörg Schacht macht im Folgenden einige Anmerkungen zu Skalierungsproblemen in der Leistungselektronik. Gesamt-Lösungen ergeben sich dabei nicht einfach aus der Addition der Lösungen der Teilprobleme. Die Argumentation für diese Aussage erläutert Jörg Schacht als Autor im folgenden Beitrag.

04.09.2015
Jörg Schacht

"In unserer heutigen Welt stoßen wir immer wieder in neue Bereiche vor. Dabei geht der Mensch immer davon aus, dass er die Erfahrungen, die er bis dato gesammelt hat, mehr oder weniger unverändert auf die neue Situation übertragen kann. Dieser Gedanke erweis sich aber immer wieder als sehr großer Fehler.

Gehen wir nicht eigentlich alle davon aus, dass uns die Erfahrung in unserer täglichen Welt den Weg in die Zukunft weist? Aber schauen wir mal in das ganz Kleine (Atome und deren Bestandteile - Quantenphysik) und lassen dann den Blick auf solche Dimensionen wie unser Weltall schweifen (Relativitätstheorie): hier wird jedem naturwissenschaftlich Interessierten klar werden, dass die Gesetze in diesen unterschiedlichen Dimensionen einfach nicht zueinander passen. Wer da anderer Meinung ist und dafür auch noch eine fundierte Erklärung hat, den schlage ich gerne gleichzeitig für alle gängigen Nobelpreise vor (Physik natürlich bevorzugt!).

Graphik zeigt die unterschiedliche Vorgehensweise in der klassischen Physik und der Quantenphysik am Beispiel einer Bergs | © © i-Q Schacht & Kollegen Qualitätskonstruktion GmbH
Klassische gegen Quantenphysik © i-Q Schacht & Kollegen Qualitätskonstruktion GmbH
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In der klassischen Physik muss man den Berg besteigen, um auf die andere Seite zu gelangen. In der Quantenphysik geht das jedoch auch anders: Objekte können den Berg einfach waagerecht durchqueren - sie tunneln. (Quelle: Organische Chemie; zur externen Webseite der Quelleninformation).

Skalierung im Alltag - More is different

Skalierungs-Probleme nennt man Probleme, die sich durch die reine Vergrößerung oder Verkleinerung eines Systems ergeben können, und die sich nicht durch reine Vergrößerung bzw. Verkleinerung aller beteiligten Parameter lösen lassen. Dazu einige einfache Beispiele aus unserem normalen (beobachtbaren) Umfeld, z.B. aus dem sozialen Bereich:

  • 3 Menschen verhalten sich ganz anders als 100 Menschen
  • Einzelne Fische verhalten sich vollkommen anders als ein Schwarm Fische

z.B. aus dem technischen Bereich:

  • Die Mischung von Substanzen ändert sich, ob sie nun im Mikromaßstab (Tropfen), Labormaßstab (Liter), Pilotmaßstab (Kubikmeter) oder im industriellen Maßstab (Tankfüllungen) durchgeführt werden
  • Die elektrischen Eigenschaften von Strukturen auf einem Halbleiter ändern sich, wenn die Leiterbahnen einen immer geringeren Querschnitt bekommen

Skalierungsprobleme im Elektronikbereich

Während meiner seit mehr als 5 Jahren sehr intensiven Tätigkeit im Bereich der Entwicklung von Leistungselektronik für Hybrid- und Elektrofahrzeuge, bereitet mir die Skalierung dabei immer mehr Sorge. Um den Anforderungen an die Leistungselektronik gerecht zu werden, werden Schaltungen / Boards entwickelt, auf denen sich mehr als 1.000 Einzel-Komponenten die Arbeit teilen. Aktuell kommt es dabei häufiger vor, dass eine solche hochkomplexe Schaltung / Konfiguration / Architektur mit den bisher üblichen Methoden ausgelegt und getestet wird. Vollkommen unberücksichtigt ist dabei allerdings noch die Tatsache, dass sich solche komplexen Gesamt-Lösungen nicht einfach aus der Addition der Lösungen der Teilprobleme ergeben.

In der derzeitigen Vorgehensweise werden beispielsweise keine Wechselwirkungen zwischen den einzelnen (bekannten) Teilsystemen berücksichtigt. Durch labile Gleichgewichte in einzelnen Bereichen können sich daher schon durch geringste Ursachen vollkommen andere Effekte ergeben, an die keiner der Beteiligten auch nur im schlimmsten Alptraum gedacht hat.

Zur Verdeutlichung kann der Hinweis auf den so genannten "Schmetterlings-Effekt" bzw. der Gedanke an die Chaos-Theorie dienen. Gemeint ist damit, dass bei geringfügigsten geänderten Anfangsbedingungen eines Systems das Endergebnis vollkommen anderes aussehen kann bzw. wird. Im Falle des Schmetterlingseffekts sagt man, dass sich der Flug eines Schmetterlings auf der anderen Erdhalbkugel darauf auswirken könnte, ob ein Hoch- oder Tiefdruckgebiet entsteht.

Eine andere praktische Anschauung ist ein 2-Massen-Pendel. Wenn dieses aus (ersichtlich) gleicher Startposition losgelassen wird, wird es sich schon nach kurzer Zeit immer wieder vollkommen anders verhalten.

Die Abbildung zeigt ein Zweimassenpendel | © © i-Q Schacht & Kollegen Qualitätskonstruktion GmbH
Zweimassenpendel © i-Q Schacht & Kollegen Qualitätskonstruktion GmbH
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Mögliche Auswirkungen

Was können die möglichen Auswirkungen der immer komplexer werdenden Schaltungen sein?

  1. Wir dürfen nicht davon ausgehen, dass sich zehn einzelne Schaltungsteile, die im Stand-Alone-Betrieb reibungslos funktionieren, auch im Zusammenhang problemlos arbeiten.
  2. Auch kleine Abweichungen in den Bauteilen können für die Gesamtschaltung Fehler erzeugen, die in dem einzelnen Modul nicht auffällig geworden sind.
  3. Um solche komplexen Schaltungen entsprechend testen zu können, muss in Zukunft immer mehr in die Betrachtung von Grenzmustern eingestiegen werden: hier müssen einzelne Parameter in möglichst vielen Kombinationen bis an die Grenzen der Toleranzen (und vielleicht auch noch darüber hinaus) simuliert werden.

Eine mögliche Lösung?

Eine Lösung für diese Probleme könnte die Definition von einheitlichen Schnittstellen / Interfaces zwischen den einzelnen Modulen / Schaltungsteilen sein. Dadurch könnten die Ausgangsgrößen der einzelnen Schaltungen so definiert werden, dass sie problemlos als Eingangsgrößen für andere Module verwendet werden können. Diese Vorgehensweise ist nun sicherlich nicht vollkommen neu, denn sie wird im Bereich der Mechanik schon seit vielen Jahren als Baukastenprinzip zur Anwendung gebracht. Aber im Bereich der Hardware (und teilweise auch Software) gibt es in diesem Bereich sicherlich noch einen ganz erheblichen Verbesserungsbedarf."

 

Anregungen, andere oder ähnliche Meinungen zu diesem Artikel können auch gern als Kommentar veröffentlicht werden - ich freue mich über regen Austausch.

Autor: Jörg Schacht, Inhaber der i-Q Schacht & Kollegen Qualitätskonstruktion GmbH

1 Kommentar(e)
  • Robert Trevino28.08.2018 12:08

    Hallo Hr. Schacht,
    zwei praktische Beispiele
    Beispiel eins: Bei der IBN einer Anlage zeigten sich immer wieder Anlagenverhalten, für die es im ersten Schritt keine Erklärung gab. Ursache war, eine Busleitung war nicht richtig abgeschirmt, weil sich Lack unter dem Sägering befand und so immer wieder Störungen in die Datenübertragung einkoppelten. Sämtliche Massverbindungen der Busanschlüsse wurden kontrolliert und nachgebessert.

    Beispiel zwei: Ein neues Programm für ein Regalfahrzeug ging immer wieder auf Abbruch. Ursache war, dass ein Parameter in einem Programmbaustein nicht auf eine verträgliche Größe beim Programmstart gesetzt wurde und der Baustein keine definierte Startbedingung hatte.
    Passiert ist Gott sei Dank nichts.

    Meine Erfahrung sagt mir, dass Ihre Sichtweise berechtigt ist. Rapid Prototyping, immer wieder gern genommen bei den Softys, kann zu ungeahnten Ergebnissen führen. Im Anlagebau haben wir seinerzeit eine Simulation eingeführt, die es uns erlaubte kritische Anlagezustände der Steuerung vorzugaukeln (ein Antrieb fällt aus, bei einem beidseitig angetriebenen Hallenkrahn). Die Sofware wurde stark strukturiert und standardisiert, so dass Programme konfigurierbar wurden und mit bewährten Bausteinen gearbeitet werden konnte.
    Für die Montage der Hardware wurden detailiert Prüfungen ausgearbeitet, die mittels Liste abgearbeitet wurden und Daten erfasst wurden.
    Ob solche Maßnahmen bei komplexen System wie sie heute vorliegen noch sinnvoll umsetzbar sind, wage ich zu bezweifeln. Jedoch solle man, meiner Meinung nach, bei einer Entwicklung strukturiert vorgehen und sich über die Funktionen intensive Gedanken machen, da nur über die Kenntniss der Funktion, den notwendigen Anfangsbedingungen und den möglichen Störungen kann auf eine mögliche Prüfung geschlossen werden. 

    Beim Thema Rückwirkungsfreiheit kenne ich nur das Arbeiten mit Prototypen, was auch seine Tücken hat. Hierbei könnte die Skalierbarekeit der Parameter ein Ansatz sein, was jedoch immer eine Fallentscheidung ist. Dieses zeigt zumindest auf das Problem, eine Lösung ist dieses oft nicht.
    Ich könnte mir Vorstellen, dass hierbei auch eine Simulation heflen könnte, soweit es soetwas für komplexe System gibt.

    Gruß Robert Trevino